Wohin mit den Ängsten und Unsicherheiten, die unser Leben durchziehen?
In der letzten Zeit, bin ich bei Dokusan-Gesprächen immer wieder darauf angesprochen worden, wie schwer es Menschen in diesen Tagen ist, mit den verschiedenen schwierigen Situationen, die wir in unserer Gesellschaft leben, umzugehen.
Und in der Tat es ist nicht einfach all die Spannungen, die gerade unser Miteinander durchziehen, auszuhalten.
Da ist auf der einen Seite sehr viel Angst und Unsicherheit um Corona, die Angst andere anzustecken oder von anderen angesteckt zu werden.
Da ist aber auch viel Unsicherheit, über die Informationen, die wir bekommen und die unklare Rolle der Medien in der gesamten Berichterstattung, denen manche einfach nicht mehr trauen können.
Da ist aber auch ein großes Potenzial an Aggressionen in unserem Miteinander, das manche von uns sehr intensiv wahrnehmen und nur schwer damit umgehen können.
Dazu kommt auch die Angst vor Krieg und Gewalt zwischen Russland und der Ukraine und deren unabsehbare Folgen für unser Leben hier in Westeuropa.
In Gesprächen wird mir immer wieder gesagt, wie soll ich das aushalten, wie soll ich damit umgehen, wie wird es weitergehen, was soll noch aus all dem werden?
Für viele sind es sehr elementare und bedrückende Fragen und es scheint irgendwie keinen Ausweg oder überhaupt einen Weg zu geben.
Damit ist ein strukturelles Problem für uns alle, die wir meditieren, angedeutet, beziehungsweise schon sehr gut beschrieben: je mehr wir in die Stille kommen, je mehr wir zur Ruhe finden, umso mehr und intensiver nehmen wir die Unruhe und die Spannungen um uns herum wahr.
Durch die Meditation sind wir durchlässiger, sensibler und auch schutzloser all dem ausgesetzt, was um uns herum geschieht.
Und das ist auch richtig so, denn unsere Übung heißt ja, bewusst den Augenblick, das Jetzt wahr-zunehmen. Und damit nehmen wir natürlich auch all das wahr, was andere Menschen oftmals so überhaupt nicht aufnehmen können, sich bewusst machen.
Mir scheint, dass vielen, die mit uns leben, gar nicht klar ist, was gerade alles auf dem Spiel steht.
Da mutet das kleinkarierte Kreisen um ein Virus eher sehr unbewusst an.
Aber was können wir machen?
Was sollen wir tun?
Sind wir denn überhaupt noch auf dem richtigen Weg?
Wir haben doch eigentlich die Ruhe gesucht und begegnen nun in einer sehr intensiven Weise der Unruhe.
Ist es das, was wir uns unter Zen-Meditation vorgestellt haben?
Sicher nicht.
Und dennoch sind diese Phänomene Teil des spirituellen Zen-Weges.
Im ZEN gehört immer beides zusammen, die kontemplative Ruhe und Gelassenheit auf der einen und das sich dem Leben auf dem „Marktplatz“ stellen, auf der anderen Seite.
Und auf dem Marktplatz begegnen wir gerade sehr viel Unruhe, Spannungen, Zerrissenheit, Unsicherheit, Misstrauen, Schuldzuweisungen und Angst - und damit verbunden ist für viele Menschen auch die Suche nach etwas, was uns Orientierung und Hilfe sein kann, in einer Zeit, in der für manche wenig Vertrauenswürdiges mehr zu finden ist.
Dieser Tage erzählte mir jemand eine kleine Begebenheit, von einer Begegnung auf dem Domplatz bei den Spaziergängern.
Die Person stand unmittelbar neben dem Geschehen, das ich jetzt nicht weiter skizzieren möchte, und beobachtete, was geschah. Am nächsten Tag las sie zu diesem Ereignis den Bericht in der PNP und war höchst erstaunt, was da der Journalist berichtet.
Es war so ziemlich das Gegenteil von dem, was sie selbst beobachtet hatte.
Damit ist ziemlich gut ein Problem unserer Tage skizziert.
Die Presse und deren Berichterstattung scheint in manchen Dingen nicht mehr mit der Realität übereinzustimmen, die Menschen von der Wirklichkeit haben.
Und da entsteht plötzlich ein großes Misstrauen, eine Empörung und Ärger über das, was uns da mitgeteilt wird.
Vielleicht sollten wir in diesem Zusammenhang noch einmal einen Blick auf den Journalisten und dessen Situation werfen.
Der Journalist ist von einer Zeitung angestellt, die eine bestimmte politische Richtung vertritt. Vielleicht hat der Journalist Familie, hat einen Kredit ab zu zahlen oder wie auch immer, er muss seinen Lebensunterhalt in irgendeiner Form absichern.
Der gute Mensch weiß nun ganz genau, dass er seinen Artikel, wenn er ihn verkaufen will, so gestalten muss, dass sein Vorgesetzter ihn auch akzeptiert und er am nächsten Tag in der Zeitung, die für eine bestimmte Haltung steht, veröffentlicht wird.
Sarah Wagenknecht hat kürzlich in einem kleinen Gespräch gezeigt, wie sich in den letzten Jahren unsere Medienlandschaft verändert hat. Sie machte deutlich, dass aus den ehemals über 200 Unternehmern, die den journalistischen Markt mit Informationen versorgten, nunmehr 20 übrig geblieben sind, die die ganze Medienwelt beherrschen. Das geht auf Kosten der Vielfalt aber auch einer kritischen Berichterstattung.
Bitte versteht nicht falsch, ich möchte an dieser Stelle niemanden kritisieren oder gar verurteilen.
Vielmehr scheint mir die Frage, die wohl manche von uns umtreibt, wichtig: Wie sollen wir mit dieser Situation umgehen?
Die Situation der Spannung und Angst, der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins z.B. im Falle eines Impfzwanges und der Unsicherheiten, die von verschiedenen Seiten geschürt werden.
Gerne würde man etwas tun, aber uns scheinen die Hände gebunden.
Ja, man kann auf die Straße gehen, aber das ist nicht jeder Manns und jeder Frau Sache. Ob und was es bewirkt, das weiss wohl niemand so recht.
Ihr kennt meine Gedanken zum Thema Coronavirus und in dem Zusammenhang auch die Frage, was haben wir in diesem Zusammenhängen zu lernen, ja schon ganz gut. Und ich möchte gerne zwei Aspekte für diesen Vortrag noch einmal hervorheben.
Zum einen möchte ich sagen, dass ich glaube, dass das Virus die Wahrheit, die schon immer da war nun in einer ziemlichen Klarheit uns vor Augen stellt. Und das ist oftmals nicht so angenehm und einfach zu verkraften.
Die Wahrheit über unser gesellschaftliches Zusammenleben, die Wahrheit aber auch in unserem ganz persönlichen Umgang mit uns nahen Menschen und Freunden kommt ans Licht, ins Licht. Und das ist manchmal nicht leicht auszuhalten, was wir da an menschlichem Miteinander erleben.
Zum anderen sagt uns das Virus aber auch, dass wir uns mehr auf uns selbst besinnen sollen und uns nicht mehr im Aussen fest machen und auf die vielen Meinung anderer hören und gar uns auf sie gründen.
Das, was wir jetzt in der Presse und den öffentlichen Medien erfahren, macht es für manche von uns unmöglich, dieser Berichterstattung und diesen Informationen noch zu trauen.
In diesem Zusammenhang scheint mir die Aufforderung, die uns das Virus mit auf den Weg gibt, sehr klar zu sein, nämlich orientiere dich nicht mehr an den Anderen, im Aussen, sondern entwickle immer mehr die Fähigkeit in dich hinein zu spüren, in dir selbst Halt zu finden und Sicherheit.
Lerne ganz neu auf deine innere Stimme zu hören, deiner Intuition zu folgen - und vor allem zu trauen!
Aber wie soll das gehen, so fragen mich manche, wenn ich innerlich völlig durcheinander bin und überhaupt gar nicht weiss, was ich denken und fühlen soll; wenn die allgemeine Angst auch in mir steckt; wenn ich die Aggression und Spannungen der anderen auch in mir wahrnehme?
Ja, das ist richtig so, dass wir mit unserem Weg auf keiner Insel leben und die Erfahrungen der Menschen, mit denen wir zusammen sind, sich auch mitten durch unser Leben, durch unseren spirituellen Weg ziehen.
Es ist manchmal leicht gesagt - und in guten Zeiten fühlt es sich auch gut an, wenn uns die Mystiker ihre Erfahrung der Verbundenheit mit allem immer wieder mit auf den Weg geben.
Aber dieses Verbundensein mit allem heisst ja auch, dass wir genauso mit all dem Schwierigen und Schweren, was unsere Gesellschaft durchzieht, verbunden sind. All das, was die Menschen bewegt - und dabei scheint es mir unwichtig zu sein, ob die Menschen das bewusst wahrnehmen oder nur unbewusst ihr Leben gestalten.
Wir sind Teil des Ganzen und nehmen natürlich auch die Widersprüche und Spannungen der Menschen, in der Gesellschaft auf, sie gehen auch mitten durch uns hindurch.
Ihr kennt das Bild vom Netz, wo jeder von uns eine Masche dieses Ganzen ist und wir so alle miteinander auch verbunden sind.
Als Sangha sind wir wie ein Netz. Und wir speisen in dieses Netz ein und wir ziehen auch Kraft aus unserer Gemeinschaft, unserem Miteinander für unseren Weg.
Was im Kleinen für unsere Sangha gilt, das gilt auch in viel größerem Maße für das Zusammenleben mit den anderen Menschen. Auch mit denen sind wir verbunden, auch von denen nehmen wir auf und wir speisen auch in dieses große Netz der Gesellschaft ein.
Für viele ist es nicht leicht das Schwierige, das sie gerade in unseren Tagen wahrnehmen auch auszuhalten.
Und da sind immer wieder die Fragen, was soll ich, was sollen wir machen?
Als erstes scheint mir wichtig zu sein, dass wir bewusst wahr-nehmen was ist.
Also eben nicht verdrängen oder so tun als wäre nichts, sondern unser Bewusstsein auch auf die Dinge richten, die schwierig sind, die uns bedrängen, die manchmal kaum noch auszuhalten sind.
Bewusstsein und nicht verdrängen ist eine wichtige Übung auf unserem spirituellen Weg. Manche von euch kennen meine Idee dazu, dass ich immer wieder sage, wenn du das Schwierige wahrnimmst, dann setz dich rein, dann nimm das an, was ist und wenn irgend es geht, dann halte dich darin aus.
Die Wandlung, die Veränderung kommt nicht dadurch, dass wir bestimmte Dinge ausblenden oder nicht wahrhaben wollen, sondern geschieht dadurch, dass wir das, was uns bedrängt und bedrückt wahr-nehmen und eben nicht verdrängen.
In der Wahrnehmung deutet sich dann oftmals schon eine Wandlung an.
Wenn wir verdrängen, nehmen wir uns die Möglichkeit der Veränderung.
Dinge wahrzunehmen heißt nun aber nicht, dass wir uns ständig damit beschäftigen und um sie kreisen.
Die Anweisungen der alten Meister, die noch heute genauso gilt, heißt: Nimm die Dinge wahr, aber hafte an sie nicht an, sondern lass sie ziehen, lass sie immer wieder gehen in den offenen Raum unseres Seins.
Und in diesem Zusammenhang haben sie uns die Übung mit dem Atem, bzw. mit den Koans mitgegeben.
Nimm wahr was ist - und da ist es gleichgültig, ob du in deinen ganz persönlichen Dingen ge- oder befangen bist, oder ob dich die grossen gesellschaftlichen Probleme umtreiben. Nimm all das wahr aber identifiziere dich nicht damit, sondern lass die Dinge wieder ziehen, hafte nicht an.
Verbinde all das mit deinem Atem, der kommt und geht. Und nur weil du ausatmest, den Atem wieder gehen lässt, kann der neue Atem kommen, kannst du einatmen, kannst du leben.
So auch mit den Dingen, die dich unablässig beschäftigen, bedrängen. Versuche über das Ausatmen die Dinge ziehen zu lassen, die dein Leben eng machen.
Und über das Einatmen spüre dich wieder neu in deinem Körper, nimm so deine Einmaligkeit wahr, denn so wie du atmest, atmet sonst niemand auf der Welt. Spüre dich, nimm dich wahr so wie du bist. Und je mehr es dir gelingt bei dir zu sein, um so mehr wirst du frei von den anderen Menschen.
Du findest dich und in dir deine Sicherheit, indem du dich so wie du bist wahr-nehmen und annehmen kannst.
Und so wirst du ein Gegenüber für die, die oft so unklar und ungewiss sind.
Je mehr es uns gelingen kann bei uns zu sein, und das was uns unablässig beschäftigen auch zu lassen, um so mehr kommen wir in einem ganz direkten Sinne zu uns und in unsere Mitte. Spüren uns und entwickeln immer mehr ein Gefühl dafür, was uns gut tut und was nicht. Und so werden wir immer weniger von anderen und deren Denken und Fühlen abhängig.
Je mehr wir es lernen können die Spannungen, die wir wahrnehmen, auszuhalten und dann auch wieder gehen zu lassen und damit zur Ruhe und in einen Frieden zu kommen, um so mehr können wir dann auch in unsere kleine Umgebung, in der wir tagtäglich leben - aber auch in das grosse gesellschaftliche Netz Ruhe und Frieden und vielleicht auch Wandlung einspeisen.
Matthias Uhlich
2/2022