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"Über das Sitzen in der Stille"

Matthias Uhlich • 14. September 2020

Teisho September 2020

Über das Sitzen in der Stille.

Habe ich im letzten Teisho etwas über die Müdigkeit beim Sitzen und den körperlichen Schmerzen gesagt, so möchte ich heute wieder einmal über das Sitzen sprechen.

Warum setzen wir uns immer wieder hin, um zu meditieren?
Warum nehmen wir uns tagtäglich Zeit für eine Übung, die nach den Massstäben unseres sog. „normalen Lebens“ völlig nutzlos scheint: einfach nur in der Stille zu sitzen - und mich dem auszusetzen, was in diesem Zeitraum mit mir geschieht?

Und was geschieht?
Oftmals sind es wenig erhebende Dinge, Erfahrungen, die wir dabei machen. Manchmal ist es eher Banales, andere Male sind es wieder intensive Erfahrungen aus unserem Leben, manchmal voller Glück und Freude; aber auch dem Dunklen, Schwierigen begegnen wir, der Unruhe, dem Ungeordneten.

Was tun mit dem, was geschieht?
Eigentlich wollen und suchen wir das gute Leben, Ruhe, Ausgeglichenheit, Frieden; darum haben wir ja mit der Meditation begonnen. Und nun begegnen wir oftmals auch dem Überraschenden und oft auch nicht so Einfachen.
Aber, manche von euch kennen es, wenn ich Dinge, die da tief aus meinem Inneren auftauchen und mich bedrücken - wenn ich mich in all dem aushalte und ertrage, beginnt sich etwas zu ordnen in dem manchmal so Ungefähren, Unklaren.
Wenn wir die Dinge, die uns täglich um-treiben, einmal lassen, zulassen, ohne sie zu bewerten, einzuteilen in gut und böse, richtig, falsch, dann wird aus dem vielen Ungeordneten langsam eine Ordnung. 
In einem ganz wörtlichen Sinne kann sich da etwas ab-setzen, wenn wir einfach nur absichtslos sitzen, kann etwas zur Ruhe kommen. Wenn ich mich der Unruhe aussetze und nicht davonlaufe oder sie mit noch grösserer Unruhe versuche zu übertönen, kann Ruhe und Frieden werden.
Es ist so, die meisten von euch kennen das Bild schon, wie wenn sich auf einem Blatt Papier, willkürlich verstreute Eisenspäne in eine gute Ordnung einfügen, wenn wir einen Magneten von unten dran halten. So kann sich durch die Kraft der Meditation unser Leben von innen her ordnen und strukturieren.

Wie geht die Übung?
Indem ich meine Aufmerksamkeit, mein Bewusstsein auf EINES richte, mich nur auf den Atem, das Koan, die Stille oder Leerheit konzentriere, bekomme ich zu manchem, was mir manchmal so atemberaubend nahe kommt, Abstand.
Das Viele ist noch immer da, aber es hat nicht mehr die Kraft, die Dominanz, um mich ganz in den Bann zu ziehen. Langsam werden wir dadurch klarer und können immer besser das wirklich Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden.
Aber was ist das Wichtige und Unwichtige?

Vieles von dem, was uns umtreibt, findet in unserem Kopf, in unseren Phantasien statt; es sind unsere Konzepte, Erfahrungen, die wir gemacht haben und aus denen wir nicht mehr herausfinden und von denen wir dann meinen, all das ableiten zu können, wie es kommen wird, kommen muss. 
Aber das hat oft nichts mit der Realität zu tun, das sind unsere Vorstellungen, Ängste, bangen Hoffnungen und Wünsche, wie es sein sollte/könnte, doch bitte, bitte werden soll. Und im Grunde wissen wir es, dass es dann doch ganz anders kommt.
Und oftmals verbauen uns diese vielen Gedanken den wichtigen Zugang zu unserem eigenen, tiefen Leben.

Und wenn es nicht so kommt, wie wir es gedacht haben, sind wir ent-täuscht. 
D.h. wir sind in der Realität angekommen.

Es gibt eine kleine Geschichte, die Osho einmal erzählt hat und in der es genau um das geht, wovon ich gerade gesprochen habe, nämlich die Realität und unsere Phantasie zu unterscheiden. Manche von euch kennen sie schon, sie handelt von einem Heiligen in einem kleinen Dorf in Bangladesch, dem Land mit den furchtbaren Überschwemmungen, die vom Ganges her oft weite Teile des Landes überfluten, weil oben im Himalaja die Wälder so rücksichtslos abgeholzt wurden. 
Sie berichtet: In einem kleinen Dorf, da lebte ein weiser Mann, der von den Menschen sehr geehrt wurde.
Nun geschah es, dass sich dem Dorf wieder einmal eine Flutwelle näherte….
alle Menschen mussten evakuiert werden - der Bürgermeister ging zu dem heiligen Mann und bat ihn, den Ort zusammen mit den anderen Bewohnern des Dorfes zu verlassen.
der Heilige weigert sich: „Gott hat mich in dieses Dorf gesandt. Hier habe ich gelebt. Hier habe ich gewirkt. Hier werde ich bleiben. Gott wird mich beschützen und mich vor der Flut bewahren.“
die Flut stieg und der weise Mann musste sich in den ersten Stock des Hauses begeben - die Flut umspült ihn - Menschen aus seinem Dorf schicken ihm ein Boot - aber der Heilige: „Gott hat mich...“
als die Flut immer weiter steigt, muss er aufs Dach des Hauses fliehen - die Menschen seines Dorfes wollen ihn retten und schicken einen Hubschrauber, um ihn vor der Flut zu bewahren... Dem Retter an der Strickleiter des Hubschraubers sagt er aber: „Gott hat mich…“
schliesslich riss die Flut ihn mit sich. Der Mann ertrank… 
Da er ein Heiliger war, kam er natürlich gleich in den Himmel. Voller Zorn verlangte er, sofort zu Gott gebracht zu werden.
Vor Gott sagte er dann: Gott, was fällt dir ein, mich so zu behandeln? 
Mein Leben lang habe ich dir gedient und Menschen zu dir geführt, Seelen gerettet - und du lässt mich so einfach ertrinken!
Und Gott antwortete ihm: Was verlangst du denn noch von mir? Als die Flut kam, habe ich dir als erstes den Bürgermeister geschickt - und du hörtest nicht auf mich // dann habe ich dir das Boot gesandt - doch du nahmst die Hilfe nicht an // als du auf dem Dach des Hauses in grosser Lebensgefahr warst, habe ich dir noch den Hubschrauber kommen lassen - und auch diesen Versuch, dich zu retten, schlugst du aus. 
Was sollte ich denn sonst noch machen?

Oft sind es unsere Ideen, Konzepte von denen wir meinen, dass diese so richtig wären, und dass diese sich genauso erfüllen müssten, wie wir es uns vorstellen. Und wir wenden eine Menge Energie und Willen auf, um dieses, von dem was wir glauben, dass es richtig wäre, umzusetzen. Und dabei merken wir oftmals nicht, wie wir dadurch in die Irre gehen und in eine Sackgasse geraten.
Und dann werden wir vom LEBEN - ähnlich wie beim Heiligen - immer wieder neu vor das gestellt, was wir zu verstehen, zu lernen haben. 
Und so wie der Heilige in der Geschichte, der die Realität zu begreifen hat und durch eine bestimmte Idee, die er im Kopf hat, geblendet ist, sind wir manchmal von einer Idee besessen, wie es sein soll oder muss, so dass wir die vielen Möglichkeiten, die das Leben uns bietet, nicht wahr-nehmen können.

Und genau hier setzt unsere Übung ein.
Die Übung des Lassens.
Die Übung des Geschehen lassen.
Die Übung des Sitzen in der Stille.
Und Stille meint nicht nur die Abwesenheit von Geräuschen, sondern meint ein zur Ruhe kommen in unserem Geist, in unserer Seele. 
Meint eine Unterbrechung des ständigen Dialoges, des unablässigen Redens in uns, das kaum zum Schweigen kommt.
Stille, das ist auch die Stille der vielen Gedanken, die ständig durch uns hindurch ziehen.

Wenn wir auf unserem Meditationsplatz sind, konzentrieren wir uns auf die Stille, auf die Leerheit, die hinter allem steht.
Der Buddhismus lehrt es schon seit Jahrtausenden - und die moderne Quantenphysik sagt das Gleiche: Alles was ist, was wir wahrnehmen können, kommt aus dieser ursprünglichen Leerheit, die wir mit dem Verstand, dem Denken nicht fassen können.
Aus dieser „Ebene“, von hier her kommt die ordnende Kraft, die uns klärt, die uns Klarheit schafft.
Und aus dieser Erfahrungsebene heraus lohnt es sich immer wieder, dass wir uns hinsetzen und uns uns selbst aussetzen.
Auch wenn das nicht immer angenehm ist - und entgegen der landläufigen Meinung, dass Meditation etwas Entzückendes und Verzückendes sei - merken wir immer wieder, dass manchmal Meditation auch harte Auseinandersetzung und Arbeit ist. Und zugleich erfahren wir, wie dieses Sitzen in der Stille uns langsam und mehr und mehr wandelt und verändert und wir immer stärker in eine ganz ursächliche Lebendigkeit hineingezogen werden, aus der wir immer lernen zu leben. Eine Lebendigkeit, der wir übrigens auch jenseits der Todesgrenze wieder neu begegnen werden.

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