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Trennung

Matthias Uhlich • 1. Februar 2024

Teisho Trennung

Liebe Sangha,

ihr kennt es schon, ein Teisho, das ist ein Vortrag aus der spirituellen Praxis für den Weg in die Praxis.


Das heutige Teisho wird noch einmal in besonderer Weise für mich eine Herausforderung sein, weil es gerade das zum Thema hat, was Ulrike und ich euch in der letzten Mail geschrieben hatten.

Aber möglicherweise werden manche von euch, nachdem sie von unserer Trennung gelesen haben, auch meine letzten Teishos in ihrer Thematik und ihren inhaltlichen Aussagen vielleicht etwas besser noch einordnen können.


Aber heute nun möchte ich einige Gedanken zu dem wagen, dass Ulrike und ich nun getrennte Wege gehen werden. 


Die meisten von euch kennen ja den „Kleinen Prinzen“ von Saint-Exupéry. 

Und da ist jene Szene, in der sich der kleine Prinz von seinem ihm lieb gewonnenen Fuchs verabschiedet. Und der Fuchs sagt zu ihm: 


„Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig.“

„Die Zeit, die ich für meine Rose verloren habe ...“, sagte der kleine Prinz, um es sich zu merken.

„Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen“, sagte der Fuchs.

„Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich …“

„Ich bin für meine Rose verantwortlich …“, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken.


Das sind sehr intensive Worte - und wenn man sie so liest, dann scheinen sie zunächst auch eingängig und von unserer gängigen Lebensführung und Moral her auch plausibel.

Aber, so möchte ich fragen, stimmt denn das wirklich so?

Sind wir wirklich für den Anderen und dessen Leben und Wohlergehen „zeitlebens verantwortlich“?


Bin ich ein ganzes Leben lang für den oder die anderen, mit denen ich intensive Zeiten meines Lebens verbracht habe, verantwortlich?

Sind Mutter und Vater zeitlebens, bis ans Ende ihrer Tage für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich?

Sind Menschen, die sich auf andere einlassen, schon deswegen für diese und ihr Leben für immer verantwortlich???


Manche von euch kennen vielleicht jene Rede von Müttern oder Vätern, „Ich wollte doch nur dein Bestes!“

Zugegeben, da handeln Menschen aus menschlicher Nähe und Verantwortung und geben ihr Bestes. Und am Ende ist dann die ernüchternde Erfahrung, dass alles gute Wollen und Bemühen doch am Gegenüber vorbeiging, weil es seinen Weg, seinen eigenen ganz unverwechselbaren Weg gehen musste. Gehen musste, um sich selbst zu finden und sich aus allen Bindungen und Verantwortlichkeiten der Eltern lösen muss.


Mir scheint, dass das in unseren Paarbeziehungen ganz ähnlich ist. 

Den biographischen Werdegang des Autors des „Kleinen Prinzen“ kann man auch ganz in diese Richtung deuten, nämlich, dass es für jeden von uns wichtig ist, sich selbst zu finden, jenseits von irgendwelchen vermeintlichen Verantwortlichkeiten, die wir angeblich für einander hätten. 

Letztlich bin ich für mich und nur für mich und mein Handeln verantwortlich.


Ja, und dann ist es manchmal so, dass das vermeintliche Verantwortungsgefühl dem anderen im Weg steht und dieser sich gerade dadurch nicht entfalten und weiter entwickeln kann.

Auch hier kann der Satz stehen, ich wollte oder will doch nur dein Bestes!


In diesem Zusammenhang steht unsere Übung des Zen, die immer wieder in dem Vertrauen gipfelt, dass wir gut und richtig geführt werden und wir uns getrost in unseren Weg, den das Leben uns führt, aufs immer neue uns einlassen können.


Darum können wir auch getrost unseren Partner freigeben und nicht nur freigeben, sondern ihm auch versuchen zu helfen, sich und seinen ganz eigenen Weg zu finden.


Von Elias Canetti gibt es den schönen Gedanken: 

„Menschen können nur einander erlösen, darum verkleidet sich Gott als Mensch.“


Ja, wir können einander helfen, dass jede/r seinen ganz unverwechselbaren Weg zu sich - und für sich findet.

Und das ist oftmals ganz anders als es die Worte so an der Oberfläche vermuten lassen. 

Einander erlösen ist eben auch, dass es der jeweils andere ist, der uns auf unsere Verletzungen und wunden Stellen aufmerksam macht. 

Und das ist manchmal mit Angst und Schmerz und Unverständnis oder Missverständnissen verbunden.

Und ihr merkt sicher, dass ich von dem, was ich sage, nicht von einer Theorie spreche, sondern von Erfahrungen, die Ulrike und ich miteinander geteilt haben. 

Ja, über lange Jahre hinweg haben wir oftmals sehr, sehr alte Wunden in uns gespürt und wahrgenommen. 

Wir haben Heilung gesucht und sie in unterschiedlicher Weise gefunden. 

Und je mehr dieser Prozess des Heilens in uns war, umso mehr kam in jedem von uns die Erkenntnis, dass wir nun einander freigeben müssen, damit  jeweils jede/r für sich seinen ganz eigenen und unverwechselbaren Weg gehen kann.


Um es auch noch zu sagen, es war für uns Beide nicht einfach und manchmal waren wir bis aufs Äusserste angespannt. Es gab Schmerzen, es gab Tränen und aus all dem gebar sich ein Weg. 

Ein Weiter für jeden von uns.


In allem Auf und Ab war dabei die Sangha ein sicherer Hort, in dem wir sein konnten und immer wieder zu uns zurück kamen.

Dafür gibt es viel Dankbarkeit und in einem guten Sinne auch Verbundenheit.


In unserer gemeinsamen Mail haben wir es schon angedeutet, dass auch Menschen, die miteinander einen spirituellen Weg gehen, dass deren Wege sich trennen können. 

Nach unserer Meinung hat das nichts mit Versagen oder gar „Schuld“ zu tun, sondern einfach nur damit, dass der spirituelle Weg das Potential eines jeden Menschen freigeben will.

Und vielleicht zeigt sich die Spiritualität eben nicht darin, dass sie uns eine Beziehungsgarantie gibt, sondern, dass sie uns Raum schafft, Beziehung zu leben - und auch frei zu geben.


Ulrike und ich haben in grosser Intensität nach unserem Weg gefragt und gesucht. Und wir sind nun an einem Punkt, wo wir versuchen in Frieden und mit Mitgefühl uns zu lassen und weiter unsere je eigenen Wege zu gehen.


Dieser Tage war es, dass ich mich mit einem guten Freund verabreden wollte und er mir sagte, dass es an diesem Tag nicht ginge, weil er da mit seiner seit weit über 20 Jahren geschiedenen Frau den 47. Hochzeitstag feiern werde.


Vielleicht ist das ein echtes Zeichen von Spiritualität, dass es uns gelingen kann mit- oder trotz allen wunden Stellen und schwerem verletzt sein doch eine tiefe Verbindung zueinander zu spüren. 

Im Zen wird das durch den Begriff Mitgefühl ausgedrückt.


Ulrike und ich versuchen diesen Weg - jetzt aktuell mit einer Mediatorin. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es auf unserem Weg auch die Meditation ist, die uns immer wieder hilft, über die Engen des Egos und der Ängste hinauszukommen und uns freien Raum schafft, um uns bei und mit allem Schwierigen und Schweren, das auf unserem Weg liegt, dennoch verbunden zu wissen.


Und noch ein letzter Gedanke.

In solchen Situationen der Trennung liegt uns allen wohl immer wieder die Frage „Warum?“ auf den Lippen, im Sinn. 

Das ist eine sehr schwierige Frage.

Zum einen, weil sie dazu verführen könnte, nach Gründen zu suchen und Schuldzuweisungen in die eine oder andere Richtung zu machen. 

Im Volksmund nennt man das „dreckige Wäsche zu waschen“.

Zum anderen aber auch, weil die Frage „Warum“ im Grunde nicht zu beantworten ist.


Wir beide wünschen sehr, dass trotz unserer Trennung der Zen-Weg - im Zen-do - hier weiter geübt werden kann und wir miteinander immer wieder neu entdecken können, wie viel Schönheit und Großes und Wunderbares in unserem Dasein, auf unserem Weg liegt - trotz oder mit allem, was an Herausforderung immer wieder an uns herangetragen wird.


Mein Teisho möchte ich mit einem Text von Khalil Gibran schliessen, manche von euch werden ihn wohl kennen:


Von der Liebe


Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil.


Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin,

Auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann.

Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie,

auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann

wie der Nordwind den Garten verwüstet.


Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich.

So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich.

So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen

und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern,

steigt sie hinab zu deinen Wurzeln

und erschüttert sie in ihrer Erdgebundenheit.


Wie Korngarben sammelt sie dich um sich.

Sie drischt dich, um dich nackt zu machen.

Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien.

Sie mahlt dich, bis du weiß bist.

Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist;

Und dann weiht sie dich ihrem heiligen Feuer,

damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl.


All dies wird die Liebe mit dir machen,

damit du die Geheimnisse deines Herzens kennenlernst

und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst.


Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst,

dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken

und vom Dreschboden der Liebe zu gehen.

In die Welt ohne Jahreszeiten,

wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen,

und weinen, aber nicht all deine Tränen.


Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst. 

Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen;

Denn die Liebe genügt der Liebe.

Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken,

denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf.

Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen.


Aber wenn du liebst und Wünsche haben musst, sollst du dir dies wünschen:

Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein,

der seine Melodie der Nacht singt.

Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen.

Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein;

Und willig und freudig zu bluten.


Bei der Morgenröte

mit beflügeltem Herzen zu erwachen

und für einen weiteren Tag des Liebens dankzusagen;

Zur Mittagszeit zu ruhen

und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen;

Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren;

Und dann einzuschlafen

mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen

und einem Lobgesang auf den Lippen.


Khalil Gibran
(* 06.01.1883, † 10.04.1931)




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