Und nun ist es wichtig, ganz einfach einmal selbst mit dem Finger in die Spur des Labyrinthes hinein zu gehen, ihr zu folgen zur Mitte und aus der Mitte wieder heraus. Das ständige Wiederholen des Weges, das sich leiten lassen und Zulassen von dem, was da an Bewegung mit mir geschieht, machen den "Gang" so interessant.
Einige Gedanken aus meinen Erfahrungen:
Ein eigenartiges Schwingen ist es, um die Mitte aber auch von der Mitte weg.
Mancher erfährt es so: Man beginnt etwas - begibt sich z.B. bewusst auf einen inneren Weg - oder aber den der Selbsterfahrung, der Begegnung mit sich und anderen - und am Anfang erscheint alles gut und leicht und wir sind, wie beim Weg ins Labyrinth, gar nicht weit von der Mitte entfernt.
Mit einem Male aber werden wir nach ganz außen getragen. Für manchen ist das auch eine bittere Erfahrung: Die anfänglich guten Erfolge verwandeln sich und alles scheint schwierig, schmerzvoll, langwierig, lähmend, weiter denn je vom Mittelpunkt entfernt.
Dazu auch die Erfahrungen, dass es fast immer nur im Kreis geht, dass der Weg immer gleich erscheint, ob vorwärts oder rückwärts, machen so hoffnungslos.
C.G. Jung hat einmal auf die Frage, was denn der direkteste Weg zur Mitte sei, geantwortet: "Der Umweg."
Das mag für manchen widersprüchlich oder gar geheimnisvoll klingen.
Und in der Tat, es ist ein Geheimnis unseres Lebens, dass es oft die Wege sind, die uns von unserer Planung her als Um- oder Abwege erscheinen, die uns mehr und tiefer in die Mitte unseres Lebens führen, als die vermeintlich "geraden" Wege.
Aber noch mehr wird am Labyrinth deutlich, der Weg hier ist der längst mögliche innerhalb des vorgegebenen Raumes. Erst wer ihn ganz durchschritten und die Mitte wirklich von allen Seiten umkreist hat, wird zum tiefsten Punkt seines Wesens gelangen. Das bedeutet zum einen, dass es viel Kraft und Ausdauer braucht, um in jenes Innere zu gelangen, zum anderen aber, dort angekommen, sind wir am tiefsten und geschütztesten Punkt angelangt.
Und dennoch, wenn wir unterwegs sind, scheint es oft, dass es immer nur das Gleiche ist und nur wenige Millimeter die Wege verschoben sind. Aber gerade das ist ja das Wichtige, obwohl man das Gefühl hat, dass es kein Vorwärtskommen gibt, obwohl man meint, immer nur ein und denselben Weg zu gehen, ist der Weg doch ein anderer. Und das merkt man, wenn man sich plötzlich von ganz außen stärker zur Mitte hin bewegt.
Entwicklung ist nicht eine stetig ansteigende Kurve, sondern Entwicklung geht oft in Sprüngen, Stufen vor sich und wir sind mit einem Male in einem anderen tieferen Bereich oder Bewusstsein. Vom ganz Äußeren kommen wir unverhofft in einen sehr viel weiter innen liegenden Kreis hinein: Auf einen Weg, der mit seinen Unebenheiten, mit Höhen und Tiefen, mit angenehmen Stücken und mit Ecken und Kanten mal eine für uns angenehmere und mal eine unangenehmere Strecke ist.
Nur wenn wir auf dem Weg bleiben und weitergehen, führt der zur Mitte hin. Und das Eigenartige ist, wenn man meint, schon ganz nahe dran zu sein, schon die Mitte erreicht zu haben, schwingt der Weg noch einmal nach außen, weg von ihr: Der Zweifel; die Frage, ist das wirklich mein Weg; noch einmal fühl ich mich wie ein Anfänger; alles scheint leer und voller Widerstände zu sein.
Vielleicht war dies auch die Erfahrung eines alten chinesischen Mönches, der viele Jahre in einem Zen-Kloster geübt hat, der aber nie erleuchtet worden war. Er ging zu seinem Meister und fragte: "Darf ich in die Berge gehen und diese Praxis beenden?
Das ist alles, was ich leben will, sehen, was es mit dieser Erleuchtung auf sich hat." Der Meister wusste, dass dieser Mann dafür reif war und gab ihm die Erlaubnis.
Auf dem Weg zum Berg traf der Mönch einen alten Mann, der mit einem großen Bündel herabzog. In Wirklichkeit war dieser Mann der Boddhisattva Manjusri.
Der alte Mann kam von dem Berg herab und sagte zu dem Mönch: "Wohin gehst du?"
Der Mönch antwortete: "Ich gehe mit meiner Schale und ein paar Sachen auf den Gipfel des Berges. Ich werde dort sein, um entweder erleuchtet zu werden oder zu sterben. Mehr will ich nicht. Ich bin schon lange Mönch, und jetzt muss ich wissen, was es mit dieser Befreiung auf sich hat."
Da der Mann weise aussah, fragte ihn der Mönch: "Sag mir, alter Mann, weißt du etwas über die Erleuchtung?“
Der Alte ließ einfach sein Bündel fallen.
Da erfuhr der Mönch tiefe Erleuchtung.
Die Geschichte macht deutlich, an dem Punkt, wo wir wirklich das "Bündel" loslassen, sind wir mit einem Male in dieser Mitte.
Was die östliche Tradition Erleuchtung nennt, ist im Grunde genommen, eine nicht mehr beschreibbare Erfahrung des Einswerdens mit dem GANZEN.
Aber es geht noch weiter. Nachdem der Mönch die tiefe Erfahrung der Seinsberührung gemacht hat, sieht er den alten Mann an und fragt "Und was nun?"
Und statt einer Antwort bückt sich der alte Mann, hebt sein Bündel auf und macht sich weiter auf den Weg in die Stadt.
Und genau das ist es, was das Labyrinth uns weiter deutlich macht. Der Endpunkt des Weges ist nicht die Mitte. Denn von hier gilt es nun das Bündel wieder aufzunehmen und den Weg in die Welt zu gehen.
Jemand sagte mir einmal: „Ich habe gedacht, nachdem ich eine tiefe Erfahrung hatte, dass nun endlich mal alle Schwierigkeiten vorbei wären und mein Leben gut würde. Aber nun geht es mit dem Schweren doch auch weiter.“
Es ist eine Erfahrung, die andere auch so machen, dass unser Weg in der Mitte noch nicht endet
und wir, so scheint es, nun auf dem Rückweg auch wieder an dem vorbei müssen, was wir schon
kennen — und doch Veränderung mit uns geschieht und wir Herausforderungen anders annehmen können.
Es ist eine eigenartige Verschränkung zwischen im Grunde schon Bekanntem aber doch jetzt ganz Neuem auf diesem Weg. Alles steht nun doch in einer ganz anderen Dimension, in einem anderen Zusammenhang. Und dabei wird wohl in überraschender Weise deutlich, dass das Eigentliche ja gar nicht die Erfahrung in der Mitte gewesen ist, sondern diese weit überboten wird von jenem Erleben, das wir "Auf dem Weg sein" nennen.
Unser Weg geht immer ins alltägliche Leben oder wie es eine Zen-Dichtung sagt, auf den Marktplatz. In der Welt, bei den Menschen endet der Weg zur Mitte unseres Seins.
Das lehren alle großen mystischen Traditionen gemeinsam.
Und eben auch dies, nicht die Erfahrungen - wie groß und schön oder schrecklich und beklemmend sie sein mögen - sind es, sondern der Weg, auf den sich der Einzelne begibt und auf dem er bleibt.
Dies ist der Weg, der ins Leben führt. Und er endet so, wie der Wassertropfen sich mit dem Meer vereint, so vereint sich dann einmal das Leben eines Menschen wieder mit dem: LEBEN