Johannes Tauler: "Gelassenheit"
Hätten alle Teufel
und alle Menschen sich verschworen,
und würde der Mensch alles erleiden
und sich lassen
und diese Finsternis und Bedrängnis aushalten,
wie es ihn auch schmerzen und bedrücken mag,
und würde er keine Ausflüchte suchen, so oder so,
darin nähme er mehr zu und käme weiter
als in all den äußeren Übungen,
die die ganze Welt zusammen tun könnte.
Bleibe nur bei dir selber
und lauf nicht nach außen
und halte dein Leiden aus
und suche nicht etwas anderes! -
So laufen etliche Menschen,
wenn sie in dieser inwendigen Armut stehen,
um immer etwas anderes zu suchen
und dadurch der Bedrängnis zu entgehen.
Das ist gar schädlich.
Oder sie gehen, um zu klagen
oder um Lehrmeister zu fragen,
und geraten noch mehr in die Irre.
Da kommen einige und reden von so grossen,
geistigen, überwesentlichen, überformlichen Dingen,
gerade als wären sie über die Himmel geflogen.
Und dabei kamen sie noch nie einen Schritt aus sich selber
durch die Erkenntnis ihres eigenen Nichts.
Sie mögen wohl zu vernünftiger Wahrheit gelangt sein;
aber zur lebendigen Wahrheit,
wo die Wahrheit Wahrheit ist,
dazu gelangt niemand,
als auf diesem Weg des eigenen Nichts.
Die letzten Wochen und Monate haben manche in der einen oder anderen Weise in den Bereich von Grenzerfahrungen gebracht.
Auch für uns mag das Thema „Grenze“ in dieser Zeit in der einen oder anderen Weise aufgetaucht sein. Darüber hinaus ist aber das Erleben von Grenzen eine ganz wichtige Erfahrung auf dem mystisch-spirituellen Weg.
Grenzen:
abgrenzen, ausgrenzen, mich nicht entfalten können, nicht das leben können was ich mir wünsche, wonach ich mich sehne.
„Grenze“ hat für viele Menschen einen sehr negativen Klang und wenn sie weg ist - oder wenn sie, die Grenzen, weg sind, fühlen wir uns endlich frei und lebendig.
Es gibt aber auch eine andere Seite der Grenze, wo wir merken, dass es eine heilsame Begrenzung gibt, dass Grenzen schützen, dass sie Leben bewahren können und so heilsam für uns und unseren Weg sind.
Und dennoch, es fällt uns vor allem auf unserem spirituellen Weg nicht leicht, mit Grenzen umzugehen.
In der Stille, immer dann, wenn wir einmal uns Zeit gönnen und einmal zur Ruhe kommen, geht unsere Ich-Struktur mit uns auf Reisen.
Bilder, Ideen, Gedanken, Konzepte erblühen auf unserem Meditationsplatz wie eine bunte Wiese in ihrer vielfältigen Pracht. Und manchmal begegnen uns dann auch dunkle Schatten, Angst, Verzweiflung, Schmerzen und dann ist er da, der dringende Wunsch, diesen Raum der Dunkelheit zu verlassen. Wir wünschen uns sehnlichst, dass alle Probleme, alle Sorgen und das Leiden, dass all das, was uns überfällt und manchmal in die Enge treibt, so schnell wie möglich wieder weg sein soll.
In diesem Sinne wäre dann die Grenzerfahrung, in die wir hinein kommen hilfreich, ja vielleicht sogar Not-wendig, weil sie uns zeigt, dass wir auf unserem Lebensweg etwas korrigieren müssen; unser Leben vielleicht nicht mehr richtig stimmig ist und es an der Zeit ist, an der Art wie wir leben etwas wirklich von Grund auf zu ändern.
Am sinnfälligsten wird das, was ich meine, bei Menschen, die in das Burnout-Symptom hinein kommen.
Da reizt jemand die Grenzen so lange aus, bis alles zusammenbricht.
Oft lässt sich dieses Phänomen auch auf seelische Prozesse beziehen, bei unserer Arbeit an unserem ganz persönlichen Leben beobachten.
Manchmal beginnt Reifung, Wandlung erst, wenn wir in bestimmte Grenzbereiche kommen, die uns mehr oder weniger dazu nötigen tiefer zu gehen, um aus einer anderen Ebene heraus Lösung, Reifung, Wachstum zu erfahren.
Da wäre es sicher gut, wenn es eine Meditationstechnik gäbe, die uns hilft da raus zu kommen. Denn wozu meditiere ich, wenn nicht dazu, dass ich mit meinen Problemen besser umgehen kann, um die Einengung und Begrenzungen, die das Leben mir schafft, endlich hinter mir zu lassen und ich in die Freiheit komme, den freien Raum meines Lebens betreten kann.
Aber gibt es eine solche Technik, die ich anwenden kann, um die engen Schranken in meinem Leben vielleicht etwas zu erweitern?
Vielleicht gibt es keine so eindeutige Antwort auf diese Frage.
Eine Technik im Sinne, „….man nehme….“ gibt es sicher nicht, aber es gibt einen reichen Erfahrungsschatz in der mystischen Tradition wie Menschen mit den Herausforderungen, die ihnen das Leben in so vielfältiger Weise gebracht hat, umgegangen sind.
Und der zentrale Begriff in diesem Zusammenhang heisst: Akzeptanz, annehmen dessen was gerade ist.
Wenn mir Vertrautes, Liebgewordenes wegbricht, wenn Beziehungsgefüge ins Wanken geraten, wenn eine Krankheit uns bedroht oder Angst und Sorgen um das Wohl uns in unsere Grenzen verweisen, wie sollen, können wir uns dann in der Stille auf unserem Meditationsplatz noch aushalten?
Wir wollen weg, wir wollen aufspringen, was tun, die Situation zum Besseren wenden und das oder die Probleme anpacken und lösen, anstatt tatenlos nur herum zu sitzen.
Ist Akzeptanz nicht das absolut falsche Wort hier in diesem Zusammenhang?
Ja, diese Frage ist richtig und wichtig, führt sie uns doch ganz nah an uns und unsere Verhaltensmuster.
Lasst uns darum noch etwas genauer auf den Begriff Akzeptanz schauen.
Akzeptanz meint nicht, ich lasse alles laufen wie es ist und mir ist im Grunde alles egal ...
Akzeptanz ist auch kein dumpfes, passives hinnehmen von dem was andere oder das „Schicksal“ mit mir machen.
Akzeptanz meint wahrnehmen dessen was ist. Meint mich mit dem, was das LEBEN jetzt gerade an mich heran trägt, auseinander zu setzen; mich einzulassen in das, was der Prozess meines Jetzt gerade von mir fordert – an Veränderung, an Wandlung, an Lebendigkeit, an Wachstum.
Das ist der Versuch, in dem manchmal so schmerzlichen Spiel der Kräfte, der Angst und der Sorgen, des nicht Wissens wohin mit mir - ja überhaupt mit der Frage, „wie soll es nur weitergehen?“, mich auszuhalten.
Akzeptanz fordert mich bis in den letzten Winkel meines Lebens, meiner Seele.
Das ICH will oft was ganz anderes, es möchte gerne, dass alles so bleibt wie es ist.
Das Ego mag keine Veränderungen, fühlt sich von denen bedroht, infrage gestellt.
Darum wehrt es sich und hat eine Menge guter Ideen, was man alles machen könnte.
Aber wenn wir anfangen zu „machen“ dann bleibt alles beim Alten. Entwicklung, Wachstum, Veränderung ist dann nicht möglich.
Wir hängen in uns selbst fest.
Reiner Maria Rilke hat diesen schönen Text geschrieben, den wohl die meisten von euch kennen:
Rilke: "Über die Dinge"
Man muss den Dingen die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen,
die, wie jeder Fortschritt, tief von innen kommen muss
und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann.
Alles ist austragen und gebären.
Jeden Eindruck und jeden Keim eines Gefühls ganz in sich,
im Dunkel, im Unsagbaren, Unbewussten sich vollenden lassen und
mit tiefer Demut und Geduld die Stunde einer neuen Klarheit abwarten.
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne die Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte.
Er kommt doch.
Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos still und weit.
Man muss Geduld haben gegen das Ungelöste im Herzen
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben und wie Bücher,
die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antwort hinein.
Da ist es wieder in dem was Rilke schreibt; es geht nicht um die schnelle Antwort, die pfiffige Lösung aus dem Kopf, die sicherstellt, dass alles so bleibt wie es war, sondern es geht in dem was uns begegnet um Wandlung, Veränderung aus der Enge in die Weite - vor allem aber in die Lebendigkeit.
Meine Erfahrung in diesem Zusammenhang ist, wenn wir Aufforderungen, die das Leben uns als
Auf-Gabe stellt, nicht wirklich annehmen und eine schnelle „Kopflösung“ suchen, kommt das Problem/Thema meist als Wiedervorlage auf uns zu - jedenfalls so lange, bis wir bereit sind eine Lösung tief in uns zu suchen, „im Dunkel, im Unsagbaren, Unbewussten sich vollenden lassen und mit tiefer Demut und Geduld die Stunde einer neuen Klarheit abwarten.“
Die Wandlung, die dann aus dieser Ebene kommt, hat Bestand und meint Reifung, Wachstum, LEBEN, LIEBE.
Zum Schluss:
Teresa von Avila
Ich möchte, dass ihr nur dieses begreift:
Es geht auf diesem geistlichen Weg nicht darum,
viel zu denken, sondern viel zu leben.
Was am meisten Liebe in euch weckt,
das tut.