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Kontemplation: Meister Eckhart

Matthias Uhlich • 31. August 2020

Ausgewählte Texte von Meister Eckhart

Ein armer Mensch
Meister Eckhart
Ein armer Mensch ist der, der nichts will.
Soll der Mensch Armut haben in Wahrheit,
so muss er ledig da stehn von seinem eigenen Willen,
wie er es war, als er noch nicht war.
Da ich noch stand in meinem ersten Ursprung,
da hatte ich keinen Gott,
und da war ich Ursprung meiner selbst;
da wollte ich nichts und begehrte ich nichts,
denn ich war ein lediges Sein
und erkannte mich selbst im Genusse der Wahrheit.
Da wollte ich mich selber und wollte kein ander Ding,
was ich wollte, das war ich,
und was ich war, das wollte ich,
und hier stand ich ledig von Gott und von allen Dingen.
Darum so bitten wir Gott,
dass wir Gottes ledig werden
und dass wir empfangen die Wahrheit
und sie genießen ewiglich,
dort wo der oberste Engel und die Fliege und Seele
gleich sind in dem, worin ich stand
und worin ich wollte, was ich war und war, was ich wollte.
So sagen wir denn: Soll der Mensch arm sein an Willen,
so muss er so wenig wollen und begehren wie er wollte
und begehrte, als er nicht war.
Und in dieser Weise ist der Mensch arm, der nichts will.
Predigt 32, „Beati pauperes spiritu"

Greift in Euer eigenes Gut
Meister Eckhart
Die Leute sagen oft zu mir:
"Bittet für mich!"
Dann denke ich:
"Warum geht ihr aus?
Warum bleibt ihr nicht in euch selbst
Und greift in euer eigenes Gut?
Ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch."
...und es gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele
in derselben Weise,
wie er ihn in der Ewigkeit gebiert und nicht anders.
Er muss es tun, es sei ihm lieb oder leid.
Der Vater gebiert seinen Sohn ohne Unterlass,
und ich sage mehr noch:
Er gebiert mich als seinen Sohn und als denselben Sohn.
Ich sage noch mehr:
Er gebiert mich nicht allein als einen Sohn;
er gebiert mich als sich und sich als mich
und mich als sein Sein und als seine Natur.
Im innersten Quell, da quelle ich aus im Heiligen Geiste;
Da ist ein Leben und ein Sein und ein Werk.
Alles, was Gott wirkt, das ist Eins;
Darum gebiert er mich als seinen Sohn ohne jeden Unterschied.
Mein leiblicher Vater ist nicht eigentlich mein Vater,
sondern nur mit einem kleinen Stückchen seiner Natur.
Und ich bin getrennt von ihm;
Er kann tot sein und ich leben.
Darum ist der himmlische Vater in Wahrheit mein Vater,
denn ich bin sein Sohn.
In meiner (ewigen) Geburt wurden alle Dinge geboren,
und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge;
und hätte ich gewollt,
so wäre weder ich noch wären alle Dinge;
wäre aber ich nicht, so wäre auch "Gott" nicht.
Dies zu wissen ist nicht not.


Ursache meiner selbst
Meister Eckhart
Darum bitte ich Gott, dass er mich Gottes quitt mache,
denn mein wesentliches Sein ist oberhalb von Gott,
sofern wir Gott als Beginn der Kreaturen verstehen.
Denn in demselben Sein Gottes, in dem Gott über allem Dasein
und über aller Unterschiedenheit steht,
da war ich selbst, da wollte ich mich selbst,
und da erkannte ich mich selbst,
diesen Menschen zu schaffen.
Darum bin ich meinem Sein nach, welches ewig ist,
Ursache meiner selbst,
nicht aber aufgrund dessen,
was ich erst geworden bin,
denn das ist zeitlich.
Und darum bin ich ungeboren,
und darum kann ich niemals sterben.
Aufgrund meines Ungeborenseins bin ich ewig gewesen
und bin jetzt und werde ewig bleiben.
Was ich durch meine Geburt bin,
das wird sterben und zunichte werden,
denn es ist vergänglich.
Darum muss es mit der Zeit vergehen.
In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren,
und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge.
Und hätte ich gewollt, so wäre weder ich, noch wären alle
Dinge,
und wäre ich nicht, so wäre auch Gott nicht.
Dass Gott Gott ist, dafür bin ich Ursache.
In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren,
und ich war Ursache meiner selbst
meinem Sein nach, das ewig ist...



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